Und wo sitzt überhaupt die Queen?- Blick hinter die Kulissen in der Royal Albert Hall -


Steine aus rotem Granit, 150 Jahre Geschichte mit überraschenden Wendungen und fast 10.000 Plätze: In der Royal Albert Hall trifft sich bis heute die Welt. Warum man für die Box der Queen die günstigsten Karten bekommt, was ein Fauxpas von Nelson Mandela mit der Royal Albert Hall zu tun hat und wieso 007 hier ein gern gesehener Gast ist, habe ich bei einer Behind the Scenes Tour erfahren.

An den Wänden hängen sie, die Gesichter, die hier Geschichte schrieben: Albert Einstein, Eric Clapton, Nelson Mandela, die Beatles, Phil Collins, Muhammad Ali, Adele, Pink Floyd, Virginia Woolf, Winston Churchill, Ed Sheeran, der Circe du Soleil, Beyoncé, Pablo Picasso, Jacob Epstein und H.G. Wells. Sie haben sich hier nicht bloß auf Fotografien verewigt, sondern auch mit den Erinnerungen an die Momente, die sie in dieser Halle schufen. Die Royal Albert Hall ist nicht nur ein architektonisch beeindruckendes Gebäude. Sie ist ein Ort der Kunst. Ein Ort, der Menschen aus der ganzen Welt zusammenbringt, Atempausen in einem rasanten Alltag schafft und den Glanz einer Zeit ausstrahlt, die wir nur noch selten finden.Für eine Oper flutete man die Halle mit 56.000 Liter Wasser, man fand sich zusammen für eine Séance, die Frauenbewegung der Suffragettes tagte mehr als 25 Mal hinter diesen Mauern und jeder neue Bond Film bekommt seine eigene Premierengala. Durch die Jahrhunderte war die Royal Albert Hall Gastgeberin für Wrestling, den ersten britischen Indoor-Marathon, politische Diskussionspodien, Kongresse, Bälle, Boxkämpfe, Basketball- und Tennisspiele, Theaterstücke, Konzerte, in 2003 die Buch-Premiere des fünften Harry Potter Bandes und jedes Jahr bis zum heutigen Tag für die traditionelle Abschlussfeier der Studenten des Imperial College London. Ja, darauf bin ich wirklich ein bisschen neidisch. Auf die Harry Potter Premiere, versteht sich.

Ausflug nach Albertopolis

Ihr Lächeln ist ansteckend: Mit ihrem wadenlangen schwarzen Zopf führt sie uns durch die viktorianischen Gänge, um Ecken herum, durch eine Tür nach der nächsten. Überall Fotografien, die meisten in schwarz und weiß, geschäftige Techniker überholen uns, die Akustikprobe für die nächste Vorstellung des Circe du Soleil läuft auf Hochtouren, doch sie lässt sich gar nicht stören.

Sie ist mir sympathisch, unser Tour Guide in der Royal Albert Hall, die diese Hinter-die-Kulissen-Begehung mit uns macht.

Wir, das sind neben mir drei Frauen aus Madeira, ein Paar aus Norwegen, zwei ältere Herren aus Dublin und eine Frau, die bisher noch kein Wort gesagt hat, aber mit offenem Mund ständig an die Decke schaut und scheinbar gar nicht fassen kann, dass sie wirklich hier ist.

„Die Royal Albert Hall steht auf dem Gelände des Gore House“, erzählt unser Guide. Ich folge ihrem Zopf über einen langen Flur mit rotem Teppich, der unsere Schritte dämpft. „Die Great Exhibition of the Works of Industry of all Nations 1851, die damals bei der Gesellschaft sehr beliebten und berühmten Weltausstellung, fand auf diesem Gelände statt. Prinz Albert, Co-Organisator der Ausstellung“, fährt sie fort und hält uns eine neue Tür auf, „regte daraufhin an, die Gewinne der Eintrittspreise für die Royal Commission zu sammeln, um das Gelände in South Kensington zu bebauen und zu einem Kulturzentrum auszuweiten. Albertopolis war geboren.“

Nicht übel, denke ich. Juliatopolis klingt auch ganz gut…da würde es dann ein Hotel, ein Yogazentrum, ein veganes Restaurant – oh, ich schweife ab.

Tragisch, romantisch, Royal Albert Hall

Aus dem Fenster in einem der oberen Stockwerke schauen wir auf das golden und schwarz schimmernde Prince Albert Memorial, sehen das Dach des Natural History Museums, Spitzen des V&A Museums, das Science Museum, das Imperial College. Institutionen, die bis heute die angewandten Künste und Wissenschaften pflegen – Prinz Alberts’ Traum wurde wahr. Auch wenn er sie selbst nicht mehr erleben konnte: Wie so viele Geschichten, hat auch die Royal Albert Hall ihren dramatischen Beigeschmack durch eine tragische Liebesgeschichte.

Erst 1867, sechs Jahre nach seinem Tod, legte seine Frau Königin Victoria den roten Grundstein aus Granit für die Royal Albert Hall. Ganz in schwarz, noch immer trauernd.

„Warum hat sie so lange gewartet?“, fragt eine der Frauen von der Blumeninsel.

Wieder dieses Lächeln, doch dieses Mal eine Spur wehmütig, wohl dank der tragischen Romantik:

„Die Königin nahm das ganze Geld, das Albert für die Hall gesammelt hatte, und baute stattdessen sein Memorial dort drüben.“ Sie zeigt auf die riesige Büste in den Kensington Gardens.

Ein Seufzen geht durch die Gruppe.

Der Bau der Konzerthalle erinnert mich an ein römisches Amphitheater: ähnlicher Prunk, ähnliche Konzeption, ähnliche Zurschaustellung von Größe und Überlegenheit. Trotzdem wirkt die Royal Albert Hall weniger arrogant als das Kolosseum. Vielleicht liegt es daran, dass hinter diesen Mauern viel musikalischere, romantischere und unblutigere Geschichten verborgen liegen.

Oh, apropos historischer Fun Fact: Der Grundstein ist im Auditorium in Abschnitt K, Reihe 11 unter Sitz 87 zu finden.

Royaler Höhepunkt: Nelson Mandela in der Queen’s Box

Durch eine unscheinbare Tür geht es, dann stehen wir in einer der sogenannten Boxes, in denen sich die Reichen und Schönen bis heute Treffen, um ihren Abend in der Royal Albert Hall zu genießen. Ein Stuhl kostet 1000 Pfund im Jahr. Gleichzeitig verpflichtet man sich, die Royal Albert Hall finanziell zu unterstützen, zum Beispiel bei wichtigen Umbaumaßnahmen, wie sie gerade für das 150-jährige Jubiläum stattfinden.

„Und direkt links neben uns“, sagt unser Guide, „das ist die Royal Box. Die Queen kommt ungefähr zweimal im Jahr, für das Festival of Remembrance der Royal British Legion, und für eine andere Veranstaltung. Zum Beispiel die Premiere eines neuen James Bond Film!“

Die royale Box…ich lasse meinen Sitz über die mehr als zwanzig Stühle schweifen. Goldene Bordüren, Ornamente, teure Seidenbezüge, frische Blumen. Mir liegen tausend Fragen auf der Zunge.

„Was passiert denn mit den Plätzen, wenn die Queen nur zweimal kommt? Es gibt doch mehr als 400 Veranstaltungen im Jahr?“, will der Norweger vor mir wissen.

Die Antwort überrascht uns alle.

„Die Queen vergibt die Tickets an ihre Angestellten für fünf Pfund pro Stück. Daher sind die royalen Tickets eigentlich die preiswertesten!“

Ob es eine spannende Geschichte aus der Royal Box gibt, fragen wir. Aber sicher gibt es die:

„Nelson Mandela besuchte 1996 als Gast der Queen die Hall für ein Charity Event und saß neben ihr. Ihm und seiner Tochter gefiel die traditionell afrikanische Musik sehr, und ihrer Kultur entsprechend standen sie irgendwann auf und tanzten mit. Alle, die in der Box saßen, taten es ihnen dann gleich, sogar die Queen – was eigentlich nicht üblich ist. Das muss ein Anblick gewesen sein!“

Wir lachen, und ich stelle mir die Queen zu afrikanischen Trommelklängen vor.

Das hat Queen Victoria mit einem Treppengeländer zu tun

Nach einem Zwischenstopp im privaten Empfangszimmer der Königin (nein, ihr eigenes Badezimmer dürfen wir leider nicht bewundern) und einen Spaziergang über die geheime Hintertreppe, kommen wir über ausladende Gänge.

Sogar der Bau der Treppen ist nicht dem Zufall überlassen: „Die Treppe ist so breit, dass bequem zwei Frauen in Reifröcken eingehakt nebeneinander hinuntergehen können“, erklärt unser Guide. Ein Detail, das in viktorianischer Zeit wichtig war, denn eine Abendgarderobe einer Dame war ziemlich ausladend. Und ich steige eine Treppe hinab, die bereits Königin Victoria nutzte, um sich zu präsentieren – perfekt, dass sie selbst nicht besonders groß war und das Treppengeländer deshalb besonders niedrig angebracht wurde.

Unten angekommen, staunen wir über die kunstvollen Wandgemälde. Hier, zum royalen Eingangsbereich auf der Rückseite der Royal Albert Hall, fuhren im 19. Jahrhundert Kutschen unter das schützende Vordach, man wollte die kostbare Abendgarderobe schließlich präsentabel vorführen. Später wurden aus Pferden die ersten Autos, heute die dezenten Strechlimousinen.

Und jetzt streife ich durch die Gänge, die schon Nelson Mandela betrat. Ich blicke auf das Auditorium aus einer Box, neben der die Queen noch immer Platz nimmt. Ich sitze in einem Zimmer, das nur für besondere Gäste geöffnet wird, wenn sie königlich empfangen werden. Lerne, dass die 85 pilzförmigen Kugeln an der Decke über dem Konzertsaal als akustische Dämmer des Echos fungieren.

Zurück im Zvi and Ofra Meitar Porch and Foyer und somit am Südeingang der Royal Albert Hall, verabschiedet sich unsere Gruppe voneinander. Das Lächeln unseres Guides hat uns alle berührt – und ihre Freude an der Royal Albert Hall wird mir immer in Erinnerung bleiben. Wer weiß, vielleicht besuche ich im Herbst mal 007, wenn er über den roten Teppich schreitet?

Wissenswertes

Bekannt über die Landesgrenzen hinaus und zu den beliebtesten Shows der Royal Albert Hall gehörend sind die jährlichen Sommerkonzerte der BBC: The Proms. Die Konzerte enden üblicherweise mit der Last Night of the Proms, die in der Royal Albert Hall stattfindet und für alle Musikfans ein Highlight ist. Wenn 9.500 Menschen im Auditorium zu Auld Lang Syne ihre Fahnen schwingen oder sich die Menschen zu den Proms in the Park vor einer Großbildleinwand zusammenfinden, fragt man sich, was es verbindenderes gibt, als die Musik.

Im Jahr 2021 feiert die Royal Albert Hall ihr 150-jähriges Jubiläum. Eine ideale Zeit, um mal einen Blick in diese grandiose Halle zu werfen, oder?

Wer sich für eine Tour in der Royal Albert Hall interessiert, kann sich entscheiden: für die Klassische RAH Tour, die Behind the Secenes Tour, die ich gemacht habe (nur im Januar und Februar), einer Gruppentour mit bis zu 15 Personen oder einer Special Interest Tour.

Alle Touren starten beim Eingang an Tür 12, wo auch das Box Office und der Eingang zum italienischen Restaurant Verdi untergebracht sind.

Preise und Öffnungszeiten findest du auf der Webseite der RAH.

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