Stell dir vor, du bist in einem fremden Land und mitten in der Nacht brennt dein Hostel ab – mit allem, was du in diesem Moment besitzt. Meiner Freundin Eve ist genau das passiert, als sie mich in Cabarete besucht hat. Ein Text über grenzenlose Hilfsbereitschaft und das Gegenteil davon.
Alarm.
Ich höre Sirenen, im Halbschlaf. Es ist noch dunkel. Müssen die so laut sein, denke ich. Und: Genügt es in diesem kleinen Ort hier nicht, das Blaulicht einzuschalten – muss man da gleich auch noch alle Bewohner aufwecken? Sicher hat es wieder einen Unfall gegeben, das passiert hier häufig. Aber dass die neuerdings die Sirenen anschalten? Ungewöhnlich. Ich schlafe wieder ein.
Wenige Minuten später: Wieder Sirenen. Ich drehe mich um. Wie spät ist es eigentlich? Und: Kann Eve etwas passiert sein? So ein Quatsch. „Ich mache mir jetzt einen Tee und schau mal, ob bei all dem Regen das Dach über meinem Bett noch hält. Bis morgen früh.“ Das war ihre letzte Nachricht.
Als das dritte Mal die Sirenen am Haus vorbeiziehen, ignoriere ich sie deshalb einfach.
Es brennt.
6:00 Uhr, mein Wecker klingelt. Nur langsam werde ich wach. Greife automatisch zu meinem Handy auf dem Nachtschrank. Erstmal das WLAN anstellen. Was für eine blöde Gewohnheit: Kaum die Augen auf und schon für die ganze Welt erreichbar, das sollte ich mir dringend mal abgewöhnen.
Auf dem Bildschirm blinkt’s.
WhatsApp von Eve 3:52 Uhr: „Es brennt“
Mit einem Schlag bin ich hellwach, sitze kerzengerade im Bett.WhatsApp von Eve 3:54 Uhr: „Das Hostel ist komplett abgebrannt. Alle meine Sachen sind weg. Wir sind aber alle rausgekommen und jetzt im Cabarete Surf Camp. Ruf mal an.“
„Eve, geht’s dir gut???“ rufe ich Sekunden später ins Handy und bin erleichtert, ihre Stimme am anderen Ende der Leitung zu hören. Dann geht alles ganz schnell. In Windeseile schnappe ich mir ein paar warme Klamotten, Schuhe und Sonnencreme. „Brauchst du noch irgendwas?“, frage ich. „Mückenzeug wäre ein Traum“, lautet die Antwort. Und: „Es sind die kleinen Dinge, die toll sind …“
Zehn Minuten später düsen wir auf dem Roller durch den Ort, die Sonne geht gerade auf. Erst später am Tag wird uns auffallen, dass wir vor lauter Aufregung die Helme zuhause vergessen haben.
Die Flammen haben das hölzerne Gebäude im Nu dem Erdboden gleich gemacht.
Alis Surfcamp ist groß und verwinkelt, ein kleine Oase am Anfang des ProCap, wo sich vor allem im Winter die Expats tummeln. Das angrenzende Restaurant ist bekannt für saftiges Steak, Besitzer Ali dafür, dass er mehrere Luxusautos fährt. Große Palmen, Dschungel, kleine Holzhütten. Noch ist es ruhig, fast Menschenleer, die meisten Gäste schlafen wohl noch. Ich finde Eve nicht direkt.
Ein blondes Mädchen kommt mir entgegen, sie telefoniert am Handy, schaut uns gedankenverloren an. „Kennst du Eve?“, frage ich. „Weißt du, wo sie steckt?“ Aufgelöst antwortet sie mir: „Unser Hostel ist abgebrannt“. „Genau, deshalb bin ich hier, weißt du, wo Eve ist?“ Sie stutzt, zeigt mir den Weg.
Eve sitzt in einer kleinen Holzhütte auf einem Bett. Umarmung. „Wie geht es dir?“ Eine hilflose Frage. „Hier will ich nicht bleiben“, sagt sie. Im Restaurant finden wir einen Platz. Und dann berichtet sie von der Katastrophe, die sich zwei Stunden zuvor in dem kleinen Hostel am Strand abgespielt hat. Ein Hostelgast habe laut „Fire“ gerufen und als sie aufgewacht sei habe sie schon den Brandgeruch gerochen. Sei rausgelaufen in den dichten Qualm, habe noch an die Zimmer der Mädels geklopft, die am Abend feiern gehen wollten. „Ein Glück, die sind noch unterwegs“, habe sie sich gedacht, nachdem sie fast die Tür eingetreten habe, aber kein Mucks kam. Dann habe sie weiter gerufen „Jimmy, Jimmy“, bis der Hostelmanager aus seinem Zimmer gerannt kam, seine schwangere Frau und das Kleinkind im Schlepptau.
Auf der Straße konnten sie nur zusehen, wie die Flammen das hölzerne Gebäude im Nu dem Erdboden gleichmachte. Und dann ein Wunder: Erst kommen die Mädchen doch noch heraus, später auch noch zwei andere Hostelgäste. Es gießt in Strömen, während die Flammen in der Dunkelheit lodern.
Die Nachricht vom abgebrannten Hostel verbreitet sich in Windeseile.
Wir überlegen, wie es jetzt weitergeht. Ihr Handy konnte Eve in letzter Sekunde retten, ihr Pass liegt bei uns. An Kleidung hat sie nur noch das, was sie in der Nacht getragen hat, alles andere ist verbrannt.
„In der Holzhütte hier will ich nicht bleiben, ich möchte in ein Steinhaus“, sagt Eve. Eine Nachricht an unsere Vermieterin Carmen genügt. „Natürlich Birte, ich habe ein Zimmer frei. Was ist denn passiert?“Doch Eve braucht mehr, als ein Dach über dem Kopf. Und jetzt erstmal ihre Ruhe.
Während sie sich einen Moment erholt, fahren wir in den Ort. Die Nachricht vom abgebrannten Hostel verbreitet sich in Windeseile, auf Facebook gibt es bereits Bilder von der Nacht. Was wir dort lesen, gibt uns zu denken. „Wir wollten euch nur wissen lassen, dass unser Restaurant weiter geöffnet hat“, lässt der Besitzer ausrichten.
Kein Wort der Entschuldigung, keine Geste der Verantwortung. Nicht auf Facebook und auch nicht im realen Leben. Als wir von Ali wissen wollen, wie es jetzt für die Gäste weitergeht, schickt er einen seiner Mitarbeiter vor: „Ali hat einen Schock, der kann nicht mit euch reden“, sagt Antonio. „Ihr müsst das verstehen, wir haben gerade 150 000 Euro verloren.“150.000 Euro für die Bretterbude?? Ein schlechter Witz. Und überhaupt – geht’s auch ein wenig sensibler? Scheinbar nicht. Das Werbe-T-Shirt, das die Gäste hier zum Abschied bekommen, verschenkt er vor Eves Augen. Für sie würde es an diesem Tag sehr viel bedeuten.
„Es sind die kleinen Dinge, …“
Inzwischen wissen wir, dass das Feuer durch einen Kurzschluss entstanden ist. Weil es in der Nacht so heftig geregnet hatte, ist tatsächlich Wasser durch’s Dach getropft. Und weil die Kabel hier so schlecht isoliert sind, hat der Kühlschrank angefangen zu brennen.
Schadensersatz? „Nein. Warum rufst du nicht deine Eltern an, wenn du Geld brauchst?“, fragt Antonio. Unser Erstaunen über sein Verhalten macht ihn wütend, er schreit ein bisschen und stapft dann davon.
Eve will jetzt nur noch schlafen. Als wir sie später besuchen schreit Antonio immer noch und Ali, der sich inzwischen doch herausgetraut hat, droht uns Schläge an, wenn wir noch einmal sein Gelände betreten. Eines steht fest: Eve muss hier schnellstmöglich raus. Am Abend zieht sie in das Zimmer unserer Vermieterin, die schon das Kabel vom Kühlschrank aus der Steckdose gezogen hat. Ein kleine menschliche Geste, die nach den Erlebnissen des heutigen Tages viel bedeutet.Ein riesiger Rucksack voller Kleidung, der gleich drei Mädchen sehr glücklich macht
WhatsApp von Birte 9:52 Uhr: Hi Shayna, won’t make it to yoga today, my friend who is visiting me was in the hostel that burned down last night. No one is injured but I need to take care of her. Hopefully we will both come on Thursday.
WhatsApp von Shayna 10:12 Uhr: Oh my goodness. I’m glad no one was hurt but that’s scary!! Did anything of hers get burned? Does she need clothes?
Und mit einem riesigen Rucksack, den Eve auch gleich behalten darf und der voller Kleidung für Eve und die anderen beiden Mädels aus dem Hostel steckt, kommt Shayna am nächsten Tag zum Yoga.
Doch mehr als das: Eve berichtet, dass sie am Vortag noch in einem der kleinen lokalen Läden war, die Neu- und Secondhandware verkaufen. Als sie der Frau erzählte, warum sie auf gar keinen Fall 30 Euro für einen neuen Bikini ausgeben könne, schenkte diese ihr sofort ein T-Shirt und bat sie, am nächsten Tag wiederzukommen, weil sie zuhause noch eine Shorts für sie heraussuchen möchte.
Als Eve am kommenden Tag der lieben Frau im Geschäft einen Dankes-Brief und einen Pfannenkuchen mit Schoko-Smiley überreicht, hat diese Tränen in den Augen. Auf Spanisch gibt sie Eve zu verstehen, dass sie sich im Laden umschauen soll und nehmen darf, was ihr gefällt. Bezahlen müsse sie heute nichts. Wir nehmen an, dass diese Frau weiß, was Schicksalsschläge sind.
Jetzt beginnt der Urlaub von vorne!
Am Abend des dritten Tages nach dem Feuer beschließt Eve: „Jetzt beginne ich meinen Urlaub von vorn.“ Die wichtigsten Formalitäten sind geklärt, die Versicherung informiert, nun will sie noch ein paar Tage Sonne, Strand und Meer genießen. Bei Josef von Easy Rider möchte sie einen Ausflug für den kommenden Tag buchen, auch er hat schon von ihrem Schicksal gehört. „Sei morgen um 8 Uhr hier, die Tour schenke ich dir.“ Nun kämpft Eve mit den Tränen.
Danke Ali – für nichts!
Eines aber steht ihr nun noch bevor: Für die Versicherung zuhause braucht sie dringend den Polizeibericht. Ali hatte ihr versprochen, den innerhalb von einer Woche zu besorgen. Im Dorf hört man bereits die Gerüchte, dass nun offiziell der Stromkasten des Nachbarn die Brandursache gewesen sein soll. Wie einfach es doch ist, in einem Land, in dem Korruption an der Tagesordnung ist, die Verantwortung von sich zu schieben.
Und den Bericht muss sich Eve am Ende natürlich selbst bei der Polizei holen.
Lieber Ali, danke für nichts!
Und warum dann doch noch alles irgendwie Sinn gemacht hat …
Manchmal ist es wichtig, das Böse im Leben nicht über das Gute siegen zu lassen, in dem man ihm zu viel Platz einräumt. Deshalb fehlen in dieser Erzählung viele Details über das Schlechte, denn es soll das Gute nicht in den Schatten stellen.
Viele Menschen, denen Eve in dieser Woche begegnet ist, waren überaus empathisch und grenzenlos hilfsbereit. Ihnen gebührt dieser Raum!
Wenn euch euer Weg deshalb jemals nach Cabarete führt, dann bucht eure Unterkunft bei Carmen, geht shoppen in dem kleinen Laden gegenüber von Janets, wählt eine Tour bei Josef oder probiert mal Yoga bei Shayna.
Und Eve selbst kann den Umständen inzwischen sogar etwas Positives abgewinnen. Als ich ihr diesen Text Anfang der Woche zuschicke antwortet sie mir: „Und noch etwas Positives: Ich habe durch das Feuer viele Leute kennengelernt und am Ende auf dem Surfbrett das Feuer ganz hinter mir gelassen. Und surfen hätte ich ohne das Feuer nie gelernt :-)“