Was wirklich zählt im Leben- Ein Regenschauer in Venedig -


Der Regen läuft in jeden Winkel, strömt über mein Gesicht. Läuft in meine Haare, durchnässt Kleid und Schuhe. Der Himmel über Venedig ist dunkel, fast schwarz, gewaltige Wolken schieben sich vor meine Sicht. Das Unwetter tobt seit zwei Minuten- und ich stehe auf der Straße, starre hinauf in das kalte Nass und lache, wie ich seit langem nicht mehr gelacht habe. In diesem Moment wird mir klar: Das ist es, wofür es sich zu Leben lohnt.

Zehn Minuten zuvor saß ich beim Abendessen an der Kaimauer in der Lagune, genoss venezianische Köstlichkeiten und ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Trotzdem war ich schlecht gelaunt: Irgendwie war die Sonne zu heiß, die Stadt zu voll, die anderen Touristen zu touristisch und mir taten die Beine weh. Dann setzte der Wind ein. Meine Tischnachbarn verließen fluchtartig ihre Mahlzeit. Auf der Hauptstraße sah ich, wie die Obst- und Gemüsehändler ihre Läden hochklappten. Türen schlugen zu, die ganze Straße runter. Knall, Knall, Knall.

Stirnrunzelnd sah ich mich um: Das alles wegen ein bisschen Wind? Sind wohl noch nie in Norddeutschland gewesen, dachte ich mir. Sorglos gabelte ich meine Pasta. Als das erste Donnern und Zittern von Fern zu hören war, ein dumpfes Grollen, zahlte ich gerade. Die Kellnerin sah erleichtert aus, dass sie den letzten Tisch endlich nach drinnen tragen konnte. Und dann, miesepetrig auf der menschenleeren Hauptstraße schlendernd, überfiel der Regen die Stadt und mich so plötzlich, dass es keinen Sinn mehr ergab, sich unterzustellen.

Zuerst renne ich noch, triefnass, fluche laut, dann bleibe ich einfach stehen. Die Augen weit geöffnet. Lausche auf das Donnern, sehe zuckende Blitze, die mir sonst immer Angst machen. Der Kinderbuchautor Dr. Theodor Seuss Geisel schrieb einmal :

„Sometimes you will never know the true value of a moment until it becomes a memory.“

Die Erinnerung an diesen Moment zwischen Dogenpalast, Rialto-Brücke und Canal Grande hat sich so fest in meinem Kopf verankert, dass ich sie niemals vergessen werde: Sie mache mir klar, dass es keinen Sinn hat, ständig zu rennen. Sich unterzustellen. Ins Trockene zu kommen.

Mir wird bewusst: Das ist es, warum du auf Reisen gehst! Du bist so glücklich. Du hast so viel mehr, als die meisten Menschen dieser Welt. Bei Gott, du stehst auf der Straße in Venedig und hast soeben die beste Pasta deines Lebens gegessen! Du kannst in dieser Stadt ein Zimmer bezahlen! Du bist frei, jeden Tag zu gehen, wohin du willst! Die Gondoliere winken dir zu, auf dem  Markusplatz hast du eine Limonade getrunken. Verdammt, du bist so gesund, dass es an ein Wunder grenzt! Die Gedanken prasseln wie verrückt auf mich ein. Dann kommt das Lachen und ich lache und pruste, über die ganze Situation und über mich selbst, bis ich nicht mehr kann.

Wofür es sich zu Leben lohnt

Gehe gemütlich und durchnässt bis zur kleinen Calle, in der ich mein Zimmer bei einem liebenswürdigen Venezianer habe; ich beschließe, ihm zu sagen, wie dankbar ich für seine Gastfreundschaft und seine Herzlichkeit bin. An der Tür erwartet er mich schon. „Sant´Iddio!“ ruft er, lacht mich aus, Handtücher in den Händen und zusammen albern wir noch ein bisschen weiter. Als würde er ahnen, das soeben da draußen mit mir geschehen ist.

Für viele mag es kitschig klingen, oder sie können nicht verstehen, warum mir ausgerechnet klitschnass und im verheerenden Sturm in Venedig einfallen muss, dass ich einfach stehen bleiben und durchatmen kann. Aber jeder geht andere Wege, um herauszufinden, was wirklich wichtig ist. Für mich, das ist klar, zählt im Leben:

  • dass ich gesund bin
  • dass ich die Freiheit habe, zu gehen, wohin ich will
  • dass ich jeden einzelnen Tag meine eigenen Entscheidungen treffen kann
  • dass ich in meiner Heimat in Frieden lebe
  • dass ich genug Geld habe, um zu reisen
  • dass ich die Welt sehen kann, wenn ich es will

Heute lächle ich, wenn ich an Venedig, mein kleines Wunder, denke. Ich weiß, dass es manchmal einen Sturm und kräftigen Regen braucht, um mich daran zu erinnern: Du weißt, was wirklich zählt. Denke jeden Tag daran. Und denke an Venedig.

Was ist es, das für dich zählt?

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